El Norte

Wir folgen der Spur der Steine und der archäologischen Wunder und brausen die Panamericana gen Norden. Die auserkorene Nachtfahrt gestaltet sich gewohnt schlaflos, Ankunft in Trujillo um 06:00 Uhr in etwas maladem Zustand. Erste Handlung: geöffnetes Kaffee finden für Aktivierung der Körperfunktionen, und zur Zeitüberbrückung bis zum Check-In in unserem BnB, das wir erst auf den fünften Anlauf finden. (passiert, aber überraschend selten) Eine erholende Pause wäre jetzt ratsam gewesen, gönnen wir uns aber natürlich nicht, sondern schwingen uns gleich ins Colectivo um zum ersten Highlight unserer Expedition zu gelangen: nach ChanChan, der größten Adobe (=Lehmziegel)-Siedlung der Erde und mit ca. 20qm größte präkolumbianische Stadt Amerikas.
Nun bitte kurze Konzentration und nicht durcheinander geraten: obwohl unser erster Stopp ist ChanChan später erbaut worden – nämlich um ca. 1300 n.Chr. von der Zivilisation der Chímu – als die später noch folgenden Ziele, welche der Moche- oder auch Mochica-Kultur zuzuschreiben sind. (den Namen werdet ihr noch öfter hören)
Jedenfalls bestand ChanChan zu Blütezeiten aus 10 großen bis riesigen lose auf dem enormen Gelände verstreuten Palästen, jeder für sich Sitz einer Dynastie. Jeder Palast war von bis zu 10m hohen Mauern geschützt, komplett aus Lehmziegeln gebaut und beherbergte Plätze, Orte des religiös-zeremoniellen Lebens, eine Quelle, den Friedhof usw. Eine Stadt in der Stadt. Die noch existierenden Mauern und deren Friese sind zwar teilweise rekonstruiert worden, dennoch sehr beeindruckend und ein Traum für Grafikdesigner.

Wir gönnen uns etwas Schlaf und machen uns am 2. Tag auf zu unserer ersten Begegnung mit einer Moche-Persönlichkeit: der (von den Archäologen so getauften) Señora de Cao, einer Moche-Gouvernante mittleren Rangs, die im Inneren einer Lehmpyramide begraben wurde (die Pyramiden sind vollgestopft mit Gräbern und Knochen) und auch ein paar äußerst hübsche Beigaben fürs Afterlife mitbekommen hat (auch damit sind die Erdhaufen vollgestopft). Das Grab wurde erst 2005 gefunden und war einer der wichtigsten archäologischen Funde in Peru überhaupt, weil es die festgesteckten Geschlechterrollen in präkolumbianischer Kultur etwas durcheinander gewirbelt hat.
Die polychrom bemalten, unglaublich gut erhaltenen Steinfriese mit ihren ornamentalen und zoomorphen Reliefs sind unglaublich. Eine Spezialität der Moche. Ebenso wie die komplexe Keramik, mit der die Moche jeden Aspekt und Moment des alltäglichen Lebens dokumentierten. Schriftliche Zeugnisse existieren nicht!
Zwischendrin werden wir in Chiclayo noch Teil der Feierlichkeiten zu Corpus Christi (Fronleichnam), zu deren Anlass riesige Bilder aus gefärbten Sägespänen und Blütenblättern auf die Strasse gezaubert werden.
Für den dritten Tag haben wir uns das Zentrum der ehemaligen Mochica-Kultur aufgehoben: die Huaca del Sol und die Huaca de la Luna, zwei „riesige“ Pyramiden – erbaut ca. 600 n.Chr. aus Millionen von Lehmziegeln – welche das religiöse/zeremonielle Zentrum (Luna) und das administrative Zentrum (Sol) symbolisierten.
Während unserer Taxifahrt nehmen wir dann gleich Kontakt auf mit örtlichen Grabräubern (ja, unser Taxifahrer), der uns (wir haben wirklich nicht danach gefragt) Fotos unzähliger, unfassbar schöner Artefakte zeigt und uns diese zum Kauf anbietet. Keine Ahnung, ob Angeber oder serious criminal, wir kommen uns für einen Augenblick vor wie in „Tomb Raider“ und begreifen, dass Grabräuberei ein immer noch bestehendes, reales Problem in Peru ist.

Später stehen wir fasziniert vor der 21m hohen, mit unzähligen Reliefs verzierten Aussenwand des Baus und lernen, dass die Pyramiden von den Moche in mehreren Etappen erbaut wurden. Nach jedem Herrscherwechsel wurde eine Ebene mit einer Neuen überbaut, die alte Welt mit Ziegeln zugeschüttet, so als Fundament umfunktioniert und dabei die aussenliegenden, ornamentalen Friese mit neuen Friesen überdeckt. (um das Erbe der Generation davor zu schützen) Wie eine Zwiebel. So finden sich in Fällen Spuren von bis zu 8 Schichten. Wir lernen auch, dass die Finanzierung der Ausgrabungen oft von (meist ausländischen) Sponsoren ermöglicht werden muss, da das Kulturministerium des Landes offenbar kein Interesse daran hat. Gut, es gibt wirklich viele Erdhügel / Pyramiden in diesem Land, aber …
Nächster Punkt auf der Karte ist die Stadt Chiclayo. Ankunft pünktlich eine Stunde zu spät. Wir funktionieren mittlerweile nur noch in Zeitstrahlen, Befundplänen und Ikonographien. Essen, Schlafen und andere Aktivitäten sind nebensächlich geworden. Hauptgrund hier zu sein: die legendären Gräber des Señor de Sipán und des Viejo Señor de Sipán. Beides ehemals wichtige Herrscher der Moche-Kultur.
Die Entdeckung der Gräber im Jahr 1987 liest sich wie ein archäologischer Abenteurroman: als Dr. Alva (ein peruanischer Wissenschaftler) eine Anhäufung außergewöhnlicher Artefakte der Moche-Kultur auf dem örtlichen Schwarzmarkt wahrnimmt, ist er sich sicher dass gerade in der Umgebung eine wichtige Grabesstätte geplündert wird. Ein geschicktes Frage-Antwort-Spiel führte ihn zu den Gräbern von Sipán, wo sofort mit den kontrollierten Ausgrabungen begonnen wird. Der Rest ist Geschichte.

Das Narrativ der musealen Ausstellung ist besonders: der Besucher folgt auf seinem Weg durch das Museum der Reihenfolge der Entdeckungen, wie sie während der Ausgrabung gemacht wurden. Es macht Spaß, mit der Zeit immer tiefer in die Erde vorzudringen und weitere Kostbarkeiten ans Tageslicht zu befördern.
Die Schätze der Señora de Cao fanden wir schon recht unterhaltsam. Das was wir in Sipán zu sehen bekommen macht uns vollkommen sprachlos. Schwer in Worte zu fassen. Seht euch das auf den Bildern an. Die abgefahrenste Sammlung archäologischer Exponate aus einem einzigen Fund, die wir jemals gesehen haben.